Bücher wie das jüngste von Dr. Markus Krall zu lesen, löst insgesamt zweierlei in mir aus.
- Dankbarkeit. Darüber, dass es wortgewandte und intelligente Köpfe wie ihn gibt, die sich dem auf nunmehr so vielen unterschiedlichen Ebenen stattfindenden Irrsinn in Deutschland mutig entgegenstellen und Missstände – allen voran in ökonomischer Hinsicht – auf eine Art und Weise aufdecken, die ihresgleichen sucht. Köpfe wie Dr. Krall müssten flächendeckend an deutsche Universitäten.
- Trauer/Wut. Darüber, dass es sich um ein weiteres Buch handeln wird, das überwiegend nicht von denjenigen gelesen werden wird, die es dringend lesen sollten. Spontan fiele mir eine ganze Wagenladung an Zeitgenossen ein, welcher Sach- und Fachliteratur von dieser Qualität ausdrücklich anempfohlen sei. Stattdessen hat man einmal mehr „nur“ selbst ein weiteres exzellentes Buch gelesen und muss auch weiterhin mit ansehen, wie nach wie vor zu viele den Schlaf der (vermeintlich) Gerechten schlafen, nichts von alledem ahnend (wollend), was ihnen bevorstehen wird.
Eines der zentralen Themen des vorliegenden Buches ist das der Diskontinuitäten und auf welche Weise uns letztere unmittelbar betreffen. Laut Dr. Krall bestehen diese im Wesentlichen in der „bevorstehende[n] Zerstörung der Währungsunion, die durch den Kollaps des Euro ausgelöst wird“; im „Kollaps der Privatsphäre und [der] Geheimhaltung, einschließlich der Privatsphäre von Regierungen, ausgelöst durch die Ankunft des Quantencomputers“; im „Ende der parlamentarischen Parteiendemokratie aufgrund eines durchgängigen Eliteversagens“; ferner im „Ende des Unternehmens, wie wir es bisher kannten, das sich aus der beschleunigten Wirkung der technologischen Revolution auf die Umwelt ergibt“ und ein neues „Unternehmen der Zukunft“ definiere; die abschließende Diskontinuität bestehe im „umfassende[n] bewaffnete[n] und potenziell nukleare[n] Konflikt zwischen Europa und dem Islam, der von einer wiedererstarkenden Türkei [mit Osmanischen Reichsfantasien] angeführt werden wird, die im Tandem mit der internationalen Muslimbruderschaft agiert.“
Im ersten Kapitel („Der Währungskollaps“) werden die politisch bedingten, katastrophalen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen (insbesondere der Nullzinspolitik) und deren mittel- bis langfristigen Konsequenzen nicht nur anschaulich beschrieben, sondern darüber hinaus auch konstruktive Ratschläge für Unternehmen und Bürger genannt.
„Ein Versagen der Governance und der verantwortlichen Eliten in Form einer fehlgeleiteten Geldpolitik wird eine wirtschaftliche Störung und eine Veränderung des monetären Regimes auslösen, wie wir sie seit 1929 nicht erlebt haben (…) Neue Technologien in Form der Blockchain und der Kryptowährungen werden dann möglicherweise das Vakuum füllen, aber die wirklich revolutionäre Entwicklung wird sein, dass die Politik die Illusion aufgeben muss, sie könnte die Gelddruckmaschine für politische Zwecke auf ewige Zeiten anwerfen. (…)“
„Als dann eine sozialdemokratisch geführte deutsche Bundesregierung die 3-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung verletzte, wenn auch nur um ein paar Zehntel Prozent, ohne dass die vom Maastrichter Vertrag geforderten Strafen angewendet worden wären, waren alle Schleusen offen. Neue Schulden und Schuldenstände in Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien, Malta und Zypern kannten nur noch eine Richtung: nach oben. Die folgende Tabelle illustriert dies (…)“
Im zweiten Kapitel („Die Zukunft des Unternehmens I – Technogeddon oder: das Quantencomputer-Dilemma“) befasst sich der Autor mit der Frage, was geschieht, wenn „die Technologie des Quantencomputers die Verdoppelungszeit der Rechenleistung nach Moores Gesetz verkürzt – erst auf Monate, dann auf Tage, dann auf Stunden – und uns so mit einem Niveau an Rechenleistung versorgt, das Verschlüsselung und IT-Sicherheit wirkungslos für unsere gesamte konventionelle IT-Infrastruktur macht – jedenfalls für eine gewisse Zeitdauer.“
In diesem Zusammenhang freute es mich sehr, dass Krall auch immer wieder den US-amerikanischen Autor, Erfinder, Futurist und Google-Director of Engineering Ray Kurzweil ins Feld führt, dessen 1999 erschienenes und überaus prophetisches Buch „Homo S@piens“ einst auch von mir begeistert gelesen wurde.
Im dritten Kapitel („Das Ende der Parteiendemokratie“) deckt Krall schonungslos das exorbitante Versagen „unserer“ politischen und juristischen „Eliten“ auf. Ich könnte ihn dafür kritisieren, dass er einen offensichtlichen Widerspruch scheinbar nicht erkennt. Dieser besteht darin, dass er einerseits zwar richtigerweise feststellt, dass durch die ökonomischen Anreize der Politik eine adverse Selektion eintritt, womit „die systematisch falsche oder schädliche Auswahl von Personen oder Entscheidungen zum Schaden des Einzelnen oder der Gesellschaft aufgrund eines Konstruktionsfehlers im Auswahlprozess“ gemeint ist, andererseits allerdings weiterhin das (kollektivistische) System der Demokratie verteidigt. Vor einigen Jahren hätte ich deswegen noch einen Stern abgezogen, und gerne verweise ich den Autoren diesbezüglich auf „Geschosse wider den Einheitsbrei“, aber alles in allem stehen wir meiner Meinung nach mittlerweile und traurigerweise vor weitaus dringlicheren und akuteren Problemen, die von freiheitlich gesinnten Individuen – aus welchen speziellen „Lagern“ auch immer – aktuell gemeinsam angegangen werden sollten. Immerhin, auch Dr. Krall erkennt natürlich, dass „dieses System [Parteiendemokratie] eben nicht das Ende der Geschichte ist, noch viel weniger, dass es alternativlos ist und dass es Alternativen gibt, deren Anspruch auf Legitimität mindestens so groß ist wie der unseres gegenwärtigen Systems (…)“
Das vierte Kapitel („Die Zukunft des Unternehmens II – die neue kreative Zerstörung und das Ende der Firma, wie wir sie kennen“) handelt von der sozialen Diskontinuität als unausweichlicher Begleiterin industrieller Revolutionen. Am Ende steht das Ende des Unternehmens, wie wir es kennen.
Das fünfte Kapitel („Das geostrategische Vakuum“) befasst sich „mit den Folgen des Machtvakuums (…), das sich aus Europas geopolitischem und militärischem Versagen ergibt. Es wird auch die Kräfte beleuchten, die das Vakuum füllen werden“, ob es uns nun passt oder nicht. Deutschland verfügt trotz eines (zwangsabgepressten) Budgets von 43,2 Milliarden Euro über keine Armee, welche diese Bezeichnung verdiente – und damit über keine Landesverteidigung, welche diese Bezeichnung verdiente. Am Ende des letzten Jahres flogen noch vier Jets und so gut wie keine Helikopter. Deutschland kann von Glück sprechen, sofern sich die Schweiz oder Liechtenstein nicht dazu entschließen, einzumarschieren. – Was im Übrigen zu begrüßen wäre.
„In dieser Diskontinuität können wir die Folgen der demografischen Divergenz zwischen Europa und seiner Peripherie betrachten. Hinzu kommen das Versagen der Elite bei der Erkennung von Risiken, beim Lesen der Absichten der geopolitischen Gegner und der Verlust der Zielvorstellungen einer ganzen Zivilisation. Wir werden sehen, dass unsere Neigung, Konflikte zu ‚managen‘, statt den Versuch der Lösung zu unternehmen und ihre zugrunde liegenden Ursachen anzugehen, ein klassisches Beispiel unterdrückter Volatilität darstellt.“
Das sechste Kapitel („Die Ordnung der Freiheit oder der Tod der Zivilisation“) beschäftigt sich mit den Folgen der sukzessiven Zerstörung westlicher Werte bzw. mit der Frage, ob eine Gesellschaft, deren Werte nicht mehr in der christlich-jüdisch inspirierten Aufklärung verwurzelt sind, in einer Welt zunehmender Komplexität und Diskontinuität überleben kann.“ Dr. Krall legt schlüssig dar, warum seine Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet.
Im letzten, siebten Kapitel schließlich („Rückblick im Jahr 2035 – zwei Szenarien“) wagt der Autor einen Blick in die Zukunft Deutschlands, welche, je nachdem, welche Entscheidungen heute getroffen werden, eine hoffnungsvoll stimmende oder destruktive sein kann:
„Wollen wir darauf vertrauen, dass die dezentrale Organisation des Marktes das beste kollektive Entscheidungssystem ist, das die Menschheit bisher als Ergebnis eines evolutionären Prozesses entwickelt hat? Oder denken wir, dass bürokratische Institutionen, betrieben von einer kleinen Zahl von Menschen, die besseren Entscheidungen für die Allokation der Ressourcen treffen können? Erforschen wir mithilfe des Marktes das unbekannte Land, das sich bisher immer als der beste Ort für den Menschen erwiesen hat? Oder gehen wir in die Dystopie der bürokratischen Tyrannei, die uns Utopia verspricht, aber ohne Ausnahme in der Geschichte die Hölle auf Erden geliefert hat?“
(5/5)
(Diese Rezension erschien zunächst hier.)