Der Sog der Wege

Nachts liege ich im Bett und stehe vor gekreuzten Wegen
Der eine winkt adrett, der andre sitzt sehr tief entlegen
Sie lassen mich nicht wählen, stets zieht ihr starker Sog
Und ich hab’ mich zu quälen, wenn Zweiterer stärker zog

Der Erste ist so neu, so angenehm und hoffnungsvoll
Anfangs noch etwas scheu, doch mittlerweile Dur statt Moll
Er führt mich in die Wärme und zeigt den Traum der Hedonisten
In ihm leuchten die Sterne, die Fleisch und Geist so lang vermissten

Der zweite Weg führt in die Tiefe, an die Grenzen meines Geistes
In solch Gefilden fließt es, hier donnert, schlägt und beißt es
Es sind Szenarien und Gedanken, die an mir zehren, mich zerschlagen
Die zwischen Tod und Nihil schwanken, und über Sinn des Ganzen klagen

Der Erste spendet Kraft und Mut, zum Leben dient er als Ansporn
Er dämmt die Last der Kältebrut und ohne ihn ward ich verlor’n
Er befruchtet Tag und Nacht hinweg, er rettet, schützt und heilt
So enorm ist seines Prunks Gedeck, wenn er in mir verweilt

Der Zweite beugt und spaltet mich, als wär’s das Leichteste der Welt
Sowie der Wolf ins Lamme schlich, so ward das Lamm sehr schlimm entstellt
Trotz Unschuld gleicht er einer Strafe, in Form des Wolfes wütet sie
Ich bin mental vollkommen Sklave, ihm ausgeliefert wie Schlachtvieh

Der Erste ist, wenn er besteht, von hoher Dominanz
Und die List, die um ihn weht, mutiert zum Mannesglanz
Er lacht, er lebt, und er genießt, wie sinnvoll Existenz erscheint
Die Pracht, die schwebt und wie sie fließt, und kein Glück der Welt verneint

Der Zweite mürbt, doch glaubt zu retten, als sei er mir geborgen
Doch wenn er stirbt, lieg’ ich in Ketten, und bin zum Teil gestorben
Er tobt, er fleht und er beweint, wie sinnlos Existenz verliert
Der Sog, der weht und ihn vereint, und jeden Sinn der Welt negiert

Sie steh’n für sich, sind monogam, und dulden kein Erbarmen
Sie kämpfen nicht, sind nicht infam, und lassen mich nicht warnen
Zwischen den beiden herrscht kein Krieg, nur einer ist präsent
Freud und Leid, es ist ihr Sieg, ich seh’ sie als Geschenk

Nachts liege ich im Bett und stehe vor gekreuzten Wegen
Der eine winkt adrett, der andre sitzt sehr tief entlegen
Sie lassen mich nicht wählen, auf dass je keiner lügt!
Und ich hab’ mich zu quälen, falls einer mich betrügt

 

(aus: Lyrik über alles und nichts)

2 Kommentare zu „Der Sog der Wege

  1. Voll schön, das Gedicht, hat enomen Swag! Allerdings finde ich die Reime „geborgen“ auf „gestorben“, „Erbarmen“ auf „warnen“ sowie „präsent“ auf „Geschenk“ minder glücklich gewählt! Der Dichter sollte sich mal die Reimskills der Gloupdinero-Gang zu Gemüte führen, da könnte er gewiss noch das ein oder andere lernen!

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